Von Jonathan auf Freitag, 30. April 2021
Kategorie: Naturschutz

Warum mähen? Baumscheiben und Parks in Wien unter dem Messer.

​Jetzt sitze ich hier an "meiner" Stelle in einem der großen Wiener Parks. In den letzten Wochen und Monaten war es beindruckend, hier die Natur erwachen zu sehen und die Vielzahl an Arten von Wildkräutern und Frühlingsblumen, die den Park in ein Blumenmeer verwandelt haben. Die Biodiversität war vielschichtig, da eine Wildblume ja nicht für sich alleine steht, sondern ein ganzes Netzwerk an Tieren und Organismen unterstützt. Alleine circa fünf verschiedene Wildbienenarten und viele Hummeln hatten die Möglichkeit, Pollen zu sammeln und einen gesunden Nachwuchs aufzubauen.

Leider war es gestern anders. Die Verwaltung hat über die Blühstreifen "drübergemäht". Vereinzelte stellen sind den Messern entkommen, aber ansonsten handelt es sich um einen breitflächigen Kahlschlag. Hier ein Auszug an krautigen Blühpflanzen in Vollblüte, die bei der Aktion in Blüte geköpft wurden:

Hier ein paar Eindrücke, was für eine Vielfalt voller Frühlingsblumen. 

Leider wurde dann der ganze Volksgarten von Blumen "befreit" und die Flächen abgemäht. Hier stellt sich natürlich die Frage, warum und vor allem wieso zu diesem Zeitpunkt. Hier im Vergleich:

 Im Volksgarten sind die Bienen weg

Der Effekt ist klar bemerkbar - an den "ungemähten" Tagen hatte ich bereits nach wenigen Minuten eine Vielzahl von Bienenarten und Hummeln zählen können. Heute ist hier, wie an es auf Wien so schön sagt, tote Hose. Zuvor war die Luft erfüllt von Insekten und hier, an den Randbereichen des Volksgarten in Wien, war leben. Gerade in Zeiten des Insektensterbens und des Rückgangs der Biodiversität kann ein Park im urbanen Umfeld eine Oase der Artenvielfalt und eine Rückzugszone sei. Auch hängt die gesamte Nahrungskette, z.B. auch unsere Singvögel, von einer gesunden Insektenpopulation ab. Eine Unterstützung durch naturnahe Räume ist also kein Selbstzweck und nichts, das nur eine ökologische Nische betrifft.

Besonders frappierend an der aktuellen Situation ist, ist dass auch Streifen HINTER Büchen und Hecken abgemäht wurden. Hier waren wunderschöne Ballen aus Gundermann, versteckt zwischen Hecke und Grünfläche, ein Streifgen voller Natur, Hummeln und anderer Insekten. Jetzt stand nur noch ein Milchstern, der Rest wurde "entfernt". Man sollte doch zumindest in den Randzonen die Natur stehen lassen, hier "stört" es ja nicht mal eine touristische Ästhetik, deren Sinnhaftigkeit sowieso anzuzweifeln ist. Kahlschlag bleibt eben Kahlschlag.

Ein paar Tage später hatten sich die Gänseblümchen erholt, die sind hart im Nehmen. Aber Scharbockskraut, Primeln, Gundermann, Taubnesseln und andere Blüten sind unwiederbringlich verloren - nicht nur für unser Schönheitsempfinden einer Blumenwiese, sondern auch für die Wildbienen und andere Bestäuber.

 Milchstern-Rasur

Die 2. Überraschung (nicht im positiven Sinne) wartete gleich ein paar Meter weiter. Zwischen den Rosenbüschen sind noch bis vor letzter Woche viele Milchsterne gewachsen und haben geblüht. Dabei konnte ich wiederum eine ganz spezielle Wildbienen-Art beobachten, die anscheinend zum Teil auf die Milchsterne spezialisert ist. Diese Bienen konnten sogar wie Kolibirs in der Luftschweben und tauchten unermüdlich von einer Blüte zur anderen. Paar Tage darauf auch hier: alles abgemäht, alles weg. Eine fast Komplettrasur einer Milchstern-Wiese in voller Blüte. Warum, liebe Gärtner und Gärtnerinnen?

Und leider auch die Baumscheiben beim Naturhistorischen Museum 

Am Weg zurück gehen ich gern beim Naturhistorischen Museum vorbei. Vor kurzem ist mir dort mit Freunde aufgefallen, dass eine vielfältige Pflanzen-Community in den Baumscheiben seitlich des Weges rund um das NHM Wien stehen gelassen wurden. Richtig frohlockt habe ich, und eine vielzahl an krutigen Pflanzenarten und Blüten entdecken können. Auch gab es Insekten und wiederum Wildbienen in diesen kleinen Oasen zu sehen. Und doch - alles neu macht der Mai. Oder alles einen Kopf kürzer. Auch hier hat die Stadtgärtnerei Wien (MA42) - ich sag es mal verständnisvoll - über reagiert. Leider wurden auch an diesen Stellen alle Pflanzen abgesägt und vernichtet. Was für ein trauriger Anblick und auch schlecht für eine umweltfreundliche Stadt. 

Obendrein läuft gerade der Ideenwettbewerb #wienbegrünen oder "Wien wird wow". Auf der Homepage steht:

Jede zusätzliche Begrünung bringt etwas für den Klimaschutz und erhöht die Lebensqualität in unserer Stadt.

wienwirdwow.at

Richtig - aber es geht nicht nur um die Farbe. Es geht auch darum, möglichst viele Naturräume entstehen zu lassen und diesen auch den nötigen Raum zu geben. Dazu braucht es nicht viel, es reicht Flächen auszuweisen und der Natur zu überlassen. Einen Kreis von 2 Meter um jeden Baum. Das spart auch Geld. Und damit Wien hier auch "wow" wird, muss man nur die "Mäh-Policy" der Stadtgärten Wien auf eine "Natur schützen" Policy abändern. Ich verstehe schon dass gewisse historische Gärten und Orte auch ihren Flair erhalten sollen, aber es gibt so viel zusätzliche Orte, in denen die MA 42 einfach weniger Mähen und Über-Pflegen, sondern auch Platz für Entfaltung und Wildpflanzen geben soll. Oftmals kommt, wie im Volksgarten, dabei sogar ein Blumenmeer heraus. Und da hat sicherlich niemand etwas dagegen.

Und warum gerade zu einem für unsere Insekten und unsere Umwelt so wichtigen Zeitpunkt eine komplette Mahd stattfinden musste wird eine der Fragen sein, die ich auch den Stadtgärten Wien stellen muss. Ich bin der Ansicht, dass umweltschädigende Maßnahmen zumindest nicht unkommentiert bleiben sollen. Wenn wir alle unsere Stimme erheben, wenn wir - im Großen wie im Kleinen - Verbesserungsbedarf sehen, entsteht auch eine Feedbackschleife zur Verwaltung bzw. den Zuständigen, davon bin ich überzeugt. Aber bis dahin ist es immer ein eher steiniger Weg, den wir aber zumindest mit der Möglichkeit der Dokumentation in der NatureSpots App direkt unterstützen wollen. Ich werde die Spots und deren chronologische Updates an die Parkverwaltung bzw. den Bundesgärten senden, wiederum mit der Bitte um Feedback. Bleiben wir gespannt, ich hoffe ja dass diese Verbesserungsmöglichkeiten und ein Fokus auf ökologische und naturnahe Stadthabitate auch mittelfristig in der Verwaltung gesehen werden.

Einige kommunale und städtische Grünflächen sollten nur einmal oder gar nicht gemäht werden. "Dass muss man beschildern mit einer Infotafel, dass es nicht unordentlich ist, sondern ein Lebensraum"

Jan Christian Habel, Biologe, https://www.derstandard.at/story/2000126195586/ein-drittel-der-schmetterlinge-ist-in-den-letzten-40-jahren

 Wie sind Eure Erfahrungen zum Thema Mähen?

Was sind deine Erfahrungen und Beobachtung zum Thema Mähen? Wie machst du das im eigenen Garten? Und was ist deiner Meinung nach der richtige Zeitpunkt für eine Mahd? Schreib es mir unten in den Kommentaren oder lade dein Foto und deine Beobachtungen direkt in der NatureSpots App hoch, danke!

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